47. Hermannslauf 2018

Hermannslauf, Streckenverlauf, Hermannsdenkmal Detmold, Sparrenburg Bielefeld

Bei meiner ersten Teilnahme am Hermannslauf im letzten Jahr, überwogen aufgrund der katastrophalen Startbedingungen letztendlich leider die negativen Eindrücke. Da mir die schöne und abwechslungsreiche Strecke durch den Teutoburgerwald und die tolle Stimmung am Wegesrand aber durchaus gefallen hatten, verdiente der Hermannslauf  definitiv eine zweite Chance. Dieses Mal unter besseren Startbedingungen.

Meine Vorjahreszeit qualifizierte mich leider nur für den zweiten von drei Startblöcken. Da ich aber lieber aus Startblock A starten wollte, quälte ich mich Anfang März bei Minus 4 Grad durch den Schnee, um beim Lahntallauf an den Start zu gehen und eine entsprechende Qualifikationszeit zu erlaufen. Obwohl mir das auch gelang, setzte ich den Plan letztendlich doch nicht in die Tat um. Mir kam gewissermaßen ein Ball dazwischen…

Hermannslauf 2018, Detmold, Hermannsdenkmal
Das obligatorische Foto vor dem Hermannsdenkmal darf natürlich nicht fehlen.

Weniger als 50 Kilometer Trainingsleistung im April

Zwei Wochen vor dem Hermannslauf hatte ich nämlich die grandiose Eingebung, mal wieder ein Fußballspiel zu bestreiten. Die Erinnerung an das letzte vor ziemlich genau vier Jahren, und den dabei erlittenen Muskelfaserriss im Oberschenkel, verblasste schließlich mehr und mehr. Um es kurz zu machen, es war keine gute Idee! Mal ganz abgesehen von einer  – für meine persönlichen Ansprüche – erschreckend schwachen Vorstellung meinerseits, verletzte ich mich zu allem Ãœberfluss auch noch. Und das war sogar meiner eigenen Dummheit, oder positiver formuliert, meiner langen Fußballabstinenz geschuldet.

Die Knöchelverletzung zwang mich jedenfalls zu einer kleinen Laufpause. Auch deshalb betrug meine Laufleistung im April (bis zum Hermannslauf) weniger als 50 Kilometer! Angesichts dieser eher suboptimalen Vorbereitung, verzichtete ich dann doch lieber darauf, mich in die Startgruppe A hochstufen zu lassen. Schließlich wusste ich weder, ob meine Kräfte diesen Ansprüchen genügten, noch ob mein Knöchel die Strapazen überhaupt überstehen würde.

„Läufst du etwa in Flip-Flops?“

Am Sonntagmorgen blieb uns noch genügend Zeit, um vor dem Start noch einmal zum Hermann zu schlendern. Die ganz ambitionierten Läufer drehten da gerade ihre letzten Aufwärmrunden um das Denkmal, ehe sie sich auf den Weg zu ihrem Startblock begaben.

Zwar konnten wir dieses Mal eine etwas bessere Ausgangsposition in unserem Startblock ergattern, aber so richtig zufrieden war ich damit trotzdem nicht. Im Startbereich wurde ich wieder häufig auf meine Laufsandalen angesprochen. Viele können sich einfach nicht vorstellen, dass man in Sandalen eine solch anspruchsvolle Strecke laufen kann. Selbst wenn ich ihnen versichere, dass man sich keine Sorgen um mich machen muss, schauen mich die meisten weiterhin ungläubig an und sagen dann etwas süffisant: „Na dann viel Spaß beim Lauf!“ Als ob ich völlig naiv an die Sache ranginge und noch nie einen Traillauf in Sandalen absolviert hätte.

Mein persönlicher Favorit unter den Kommentaren ist aber die folgende Frage: „Läufst du etwa in Flip-Flops?“ Nur um den Kontext dieser Frage noch einmal hervorzuheben, ich stehe bereits im Startblock und der Chip ist deutlich sichtbar an einer meiner Sandalen befestigt… Am liebsten würde ich ja antworten: „Natürlich nicht, ich ziehe meine Schuhe immer erst nach dem Startschuss an. Gerade befinden sie sich noch in meinem imaginären Rucksack.“ Aber man macht’s ja nicht, man macht es ja nicht…

Und so sucht man, trotz unvermeidbarem Augenrollen, verzweifelt nach einer freundlichen Antwortmöglichkeit, die die wahren Gedanken in diesem Moment so gut es eben geht kaschiert. „Jaaa“, antwortete ich. Jetzt noch ein freundliches Lächeln aufsetzen… geschafft!

Hermannslauf 2018, Luna Sandals
Das Foto entstand erst nach dem Lauf. Beim Start waren meine Füße noch sauber.

„Pass auf, der gewinnt das noch!“

Um 11 Uhr begann das Rennen für den Startblock A. Wenn ich es richtig vernommen haben, dann starteten rund 1.500 der 7.000 Teilnehmer aus diesem Block. Ein bisschen fragwürdig finde ich die Einteilung schon, immerhin bin ich letztes Jahr aus Startblock C noch auf Platz 747 vorgelaufen. Dass ich trotzdem nur aus Startblock B starten durfte, ist da für mich nicht wirklich nachvollziehbar.

Aber sei es drum. Der zweite Startblock durfte nun bis zur Startlinie aufrücken. Doch für uns gab es kaum ein Vorankommen. Wir befanden uns ungünstigerweise direkt vor einem Nadelöhr und so strömten die Läufer aus der anderen Schlange nur so an uns vorbei. „Na super“, seufzte ich noch, „das kann ja wieder heiter werden.“ Ich sollte recht behalten.

Auf dem ersten Kilometer herrschte zähflüssiger Verkehr. Immer wieder versuchten wir, links und rechts des schmalen Waldweges zu überholen, um schneller voranzukommen. Es war wohl nicht ganz risikolos, mit meinem lädierten Knöchel so durchs Gelände zu hüpfen, aber es ging glücklicherweise gut.

Selbst auf der breiten Zufahrtsstraße zum Hermannsdenkmal wurde es kaum besser. Doch ich hatte ein klares Ziel vor Augen! Ich wollte unbedingt die Qualifikationszeit für den Startblock A schaffen. Also spritzte ich durch jede Lücke, die sich vor mir auftat. Ich schaute mich ein paar Mal um, weil ich meinen Laufkompagnon aus den Augen verloren hatte, konnte ihn aber nicht mehr erblicken. Nach einer Weile entschloss ich mich dann, meinen Weg alleine fortzusetzen.

Jetzt hätte ich mir dann doch etwas Musik auf den Ohren gewünscht. Der richtige Musikmix kann nämlich regelrecht beflügelnd wirken. Andererseits hätte ich dann aber die zum Teil sehr amüsanten Kommentare der Mitläufer nicht vernehmen können. Die kraftzehrende Passage über den Sennesand lag bereits hinter mir und das Überholen war nun mit erheblich weniger Aufwand verbunden.

Gerade lief ich an zwei Läufern vorbei, als der eine den anderen auf mein außergewöhnliches Schuhwerk hinwies: „Der läuft in Sandalen… dafür ist der aber ganz schön schnell!“ Darauf entgegnete der andere: „Pass auf, der gewinnt das noch!“ Da musste ich schon herzhaft lachen.

Hermannslauf 2018, Oerlinghausen

Gefährliche Passagen, aber auch eine tolle Stimmung an der Strecke!

Ich war jetzt richtig im Flow und lief deutlich unter meinem anvisierten Schnitt. Selbst an den Anstiegen kam ich weiterhin gut voran und arbeitete mich Stück für Stück weiter nach vorne.

Eines der vielen Highlights dieses Laufs, ist meines Erachtens die Panzerstraße bei Augustdorf. Unzählige Zuschauer sorgen für eine fantastische Stimmung. Diese Passage läuft sich daher fast wie von selbst.

Nach der Panzerstraße folgt ein relativ knackiger Anstieg. Ich erinnere mich noch, dass an dieser Stelle letztes Jahr ein Läufer vor unseren Augen unglücklich gestürzt ist. Und kurz vor Oerlinghausen kam uns damals sogar ein RTW entgegen. Die Strecke ist wirklich anspruchsvoll und mit wachsender Ermüdung steigt das Risiko, sich einen Fehltritt zu leisten, zu stolpern oder gar zu stürzen.

Auch dieses Mal benötigten einige Läufer medizinische Hilfe. Ein Verletzter lag am Streckenrand, die Sanitäter waren bereits vor Ort. Ich blickte bewusst stur geradeaus, als ich den Verletzten passierte. Weder wollte ich gaffen, noch meinen Augen einen möglicherweise schockierenden Anblick liefern. Ich bin da etwas zartbesaitet. Im Vorbeilaufen hörte ich aber, dass es sich bei der Verletzung wohl um eine herausgesprungene Kniescheibe handelte. Gut, dass ich nicht hingesehen habe!

Mittlerweile bereitete mir aber leider eine meiner Sandalen etwas Sorgen. Das linke Fersenband rutschte immer wieder herunter, sodass ich mehrfach anhalten musste, um es wieder hochzuschieben. Es war wohl doch nicht so clever, diese fast brandneuen Sandalen für den Lauf auszuwählen.

Hermannslauf 2018, Kilometer 20,5
Bei Kilometer 21 sah ich schon nicht mehr ganz so frisch aus, der härteste Abschnitt stand mir da jedoch noch bevor. Foto: laufpix.de

Gab’s hier nicht irgendwo Treppen?

Ein weiteres kleines Highlight des Laufs, ist der Streckenabschnitt, der durch Oerlinghausen führt. Auch hier ist die Strecke von unzähligen Menschen gesäumt, die für eine überragende Stimmung sorgen. Und auch hier erntete ich wieder einige ungläubige Blicke und Kommentare bezüglich meines Schuhwerks, zumal der erste Teil durch den Ort hangabwärts über Kopfsteinpflaster führt. Das ist zugegebener Maßen nicht sonderlich angenehm zu laufen, aber es ist mir aus Marburg ja auch nicht gänzlich unbekannt. Dort ist praktisch die komplette Oberstadt gepflastert.

Der Weg durch Oerlinghausen war mir natürlich im Gedächtnis geblieben, aber schon die ganze Zeit überlegte ich angestrengt, wann und wo denn nun hier diese sagenumwobenen Treppen kommen würden. Sie kamen! Etwa drei Kilometer später, kurz nach Überquerung der A2, türmten sich die Lämmershagener Treppen vor mir auf. 127 Stufen sollen es sein.

Auch steile Treppen bin ich aus Marburg gewohnt, aber wenn ich die bezwinge, stecken mir für gewöhnlich nicht bereits 22 Laufkilometer in den Knochen. Tatsächlich hatte ich seit dem Lahntallauf Anfang März nicht mal mehr annähernd eine solche Distanz zu Fuß zurückgelegt.

Letztes Jahr wählte ich nach den ersten 73 Stufen den sogenannten „Weichei-Weg“. Das Hinweisschild, dass echte Hermänner die Treppen wählen, hatte ich da aber gar nicht wahrgenommen. Ich hatte mich damals für den kleinen Umweg entschieden, weil die Treppen völlig verstopft waren und ich auf der Alternativroute schneller vorankam.

Einem Zeitungsbericht zufolge, wählte der Abo-Sieger Elias Sansar wie gewohnt den „Weichei-Weg“, während sich sein ärgster Verfolger für den Treppenweg entschied. Der Verfolger musste daraufhin abreißen lassen. Und ich kann das durchaus nachvollziehen. Auch ich nahm dieses mal die Herausforderung für echte Hermänner an und wählte die Stufen. Oben angekommen war ich am Pumpen wie ein Maikäfer! Ich war komplett fertig.

Hermannslauf 2018, Kilometer 20,5
Auch der Fotograf von Laufpix hatte einen Blick für meine Sandalen. Foto: laufpix.de

Ich pack‘ das, ich pack‘ es nicht mehr…

Die Treppen hatten mich vollkommen aus dem Rhythmus gebracht und so langsam forderte auch meine mangelhafte Vorbereitung ihren Tribut. Ich riskierte einen Blick auf die Uhr. „Wenn ich jetzt die letzten Kilometer in einem 5er Schnitt laufe, dann bleibe ich unter zweieinhalb Stunden“, dachte ich bei mir. Ja, wenn…

Beim nächsten Anstieg trat ich gefühlt auf der Stelle. Man soll es nicht für möglich halten, welch absurde Gedanken einem bei Erschöpfung so durch den Kopf schießen. Es war, als würde ich mich in einem Zwiegespräch mit mir selbst befinden.

Eine Stimme in meinem Kopf sagte höhnisch: „Vergiss den 5er Schnitt, du kannst froh sein, wenn du es überhaupt ins Ziel schaffst. Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, deine Fußsohlen brennen wie Feuer.“ „Das schaffe ich trotzdem! Die letzten Kilometer geht es nur bergab“, erwiderte eine andere Stimme. „Schmerzt der Knöchel? War ’ne tolle Idee mit dem Fußballspielen, was? Fast genauso clever war es, die neuen Sandalen zu tragen. Brennen die Blasen? Und dann die Sache mit dem Fersenriemen. Nervig, was?“

„Respekt, dass du das in den Schlappen läufst“, rief mir ein Läufer anerkennend zu und riss mich so aus meinem inneren Zwiegespräch. „Danke, aber es sieht wilder aus als es ist“, log ich. Wobei, wer sagt denn, dass ich mir in brandneuen Schuhen keine Blasen gelaufen hätte? „Trotzdem, Respekt!“, sagte er noch einmal und zog dann an mir vorbei.

Hermannslauf 2018, Zieleinlauf
Foto: Neue Westfälische

Der lange Weg ins Ziel

Ich erinnere mich gut daran, dass ich die Distanz von 31 Kilometern letztes Jahr als perfekt erachtete. Das ist nämlich ziemlich genau die Distanz, bei der ein Marathon beginnt, richtig weh zu tun. Letztes Jahr mag das zutreffend gewesen sein, aber dieses Jahr quälte ich mich jetzt schon seit den Lämmershagener Treppen bei Kilometer 23.

Ich war bereits so erschöpft, dass ich selbst das Bergablaufen als extrem anstrengend und schmerzhaft empfand. Der letzte Abschnitt durch den Wald ist wahrlich nicht gut zu laufen. Da befinden sich zum Teil riesige Löcher auf dem Waldweg. Schotter und Wurzeln machen die abschüssigen Wege sogar noch gefährlicher. Plötzlich fuhr mir ein stechender Schmerz durch den lädierten Knöchel. Glücklicherweise verflüchtigte sich der Schmerz des Fehltrittes mit jedem weiteren Schritt mehr und mehr.

Das Ziel schien nun greifbar nah. Ich bog auf die Promenade ein und riskierte einen letzten Blick auf die Uhr. „Das sieht gut aus, ich kann es noch schaffen“, schoss es mir durch den Kopf. „Nein, ich werde es schaffen!“ Ich verschärfte noch einmal das Tempo und lief beflügelt durch die jubelnde Masse durchs Ziel.

Hermannslauf 2018, Zielbereich Sparrenburg

Bereits wenige Meter später erblickte ich meine Eltern. Und ich hatte eine freudige Botschaft. „Ich bin unter 2:30 Stunden geblieben!“, verkündete ich stolz! Die Verpflegung im Zielbereich ist meines Erachtens übrigens etwas dürftig. Ich persönliche habe direkt nach dem Zieleinlauf eigentlich überhaupt kein Verlangen nach Obst oder Keksen, doch genau das wird als Erstes angeboten. Noch vor dem Wasserstand. Billige Tees und grässlich schmeckende Isodrinks können mir auch gestohlen bleiben. Nach ein, zwei Bechern Wasser durstet es mich eigentlich nur nach alkoholfreiem Bier. Das gab es jedoch nur an den frei zugänglichen Getränkewagen käuflich zu erwerben.

Nur wenige Minuten nach meinem Zieleinlauf, wurde ich übrigens per SMS über meine Nettozeit informiert: 2:28:53 Stunden! Damit darf ich dann wohl im nächsten Jahr aus dem ersten Startblock starten. Die offizielle Qualifikationszeit liegt hierfür nämlich bei zweieinhalb Stunden. Der Champion sollte sich also warm anziehen!

Hermannslauf 2018, Sparrenburg, Bielefeld
Nach einem anstrengenden Hermannslauf geht doch nichts über ein kühles (alkoholfreies) Bierchen am Fuße der Sparrenburg.

Wir – mein Laufkompagnon war mittlerweile auch eingetroffen – ließen uns noch das ein oder andere Bierchen schmecken und genossen das schöne Wetter. Nach und nach wurde es aber immer voller und damit steigt dann bei mir auch das Unbehagen. Nach einer belebenden Dusche, machten wir uns auf den Weg zurück nach Detmold. Es hatte mittlerweile angefangen zu regnen und aufgrund verstopfter Straßen bewegten wir uns kaum von der Stelle. Ich fühlte mich unweigerlich an den letzten Anstieg beim Lauf erinnert. Dann wurde mir aber wieder gewahr, dass die Anstrengung bereits hinter mir lag und ich frisch geduscht in einem bequemen Autositz saß, während draußen die Regentropfen gegen die Scheibe prasselten. Zufrieden ließ ich mich in meinen Sitz zurückfallen und lächelte…

 

4 Kommentare

  1. Haha, geil. Die Situation mit den Lunas im Startbereich kenne ich. Genau die Frage habe ich auch gestellt bekommen. Zwar nur bei einem kleinen Volkslauf, aber immerhin war ich dann so inspiriert, dass ich Vollgas gegeben hab und den 2. Platz in der AK erreicht hatte. Die Blicke – köstlich.

    1. Manche Kommentare sind ja auch wirklich lustig, aber die Frage, ob man wirklich in den Dingern läuft, ist in etwa so wie die Frage: „Na, auch hier?“

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