Der Marburger Lahntallauf ist bei ambitionierten Läufern aus der Region beliebt, weil sich der flache Rundkurs hervorragend für eine erste Standortbestimmung nach dem Winter eignet. Ich dagegen bevorzuge die schönen Trails auf den Marburger Lahnbergen. Dieses Mal kam mir der Lahntallauf aber durchaus gelegen.
Mein Plan war es, einen flotten 30er zu laufen und die Zeit als Referenzzeit für den HermannslaufDer Hermannslauf ist ein regelmäßig am letzten Aprilsonnta... More anzugeben, um dieses Mal aus dem ersten Startblock starten zu dürfen. Die Richtzeit für den Startblock A beim Hermannslauf liegt bei 2:29:59 Stunden, was einer Durchschnittspace von ca. 4:50 min/km entspricht. Genau diese PaceDie Pace ist der wichtigste Durchschnittswert im Laufsport u... More hatte ich mit zwei Laufkameraden im Vorfeld anvisiert. Aber natürlich kam mal wieder alles anders.
Laufkamerad 1 hatte sich zwei Wochen vor dem Lahntallauf einen Muskelfaserriss zugezogen und war noch nicht wieder fit für 30 Kilometer. Laufkamerad 2 schaute am Samstagmorgen aus dem Fenster, erblickte eine dicke Schneeschicht, rührte seinen heißen Kaffee noch einmal um und entschied sich, lieber im Warmen zu verbleiben. Wer will es ihm verdenken? Hätte ich mich am Samstag ebenfalls noch nachmelden müssen, wer weiß, wie ich mich entschieden hätte?
Auch so fiel es mir schwer genug, in die Kälte hinaus zu gehen. Wieder einmal wartete ich bis kurz vor knapp, ehe ich das Haus verließ und mich auf den Weg machte. Die Straßen waren um diese Uhrzeit nur unzureichend geräumt, sodass ich mit meinem nextbike doch das ein oder andere Mal ganz schön ins Schlingern geriet. Und habe ich eigentlich schon erwähnt, dass es verdammt kalt war? Minus 4 Grad kalt! Ich hätte mir beim Radfahren im Schnee fast die Zehen abgefroren!
Vier Minuten vor 10 Uhr schloss ich das Leihfahrrad am Südbahnhof ab und stapfte die letzten Meter zum Startbereich. Ein perfektes Timing, denn so musste ich glücklicherweise nicht mehr lange auf den Startschuss warten. Ich schaffte es noch, mich relativ weit nach vorne zu schummeln, so dass ich wenig Mühe hatte, vom Start weg mein geplantes Tempo zu laufen, ohne großartig aufgehalten zu werden oder viel Kraft bei Überholmanövern verschwenden zu müssen.
Auch ansonsten waren die Bedingungen nicht annähernd so schlecht, wie man es nach nächtlichem Schneefall und bei Minus 4 Grad erwarten würde. Das Orga-Team vom Ultra Sport Club Marburg hatte wirklich hervorragende Arbeit geleistet und die Laufstrecke nahezu komplett vom Schnee befreit. Es war relativ windstill und so konnte ich mein Rennen gegen die Zeit ganz entspannt angehen.
Musik an und ab dafür. Bei Läufen in Marburg passiert es mir irgendwie sehr häufig, dass ich komplett abschalte. Die Strecke ist wenig anspruchsvoll, ich kenne sie in und auswendig, könnte sie praktisch mit verbundenen Augen laufen und am Streckenrand stehen mehr Helfer als Zuschauer. Da kann man schon mal wegdösen. Für die erste Runde hatte ich mir eine Pace von 4:40 – 4:50 min/km vorgenommen. Das Tempo konnte ich auch problemlos so laufen.
Als ich feststellte, dass ich das Tempo auch auf der zweiten Runde mühelos halten konnte und meine Durchschnittspace auch weiterhin unter 4:40 min/km lag, korrigierte ich meine Zielzeit gedanklich bereits nach unten. Das kommt bei mir ehrlich gesagt äußerst selten vor. Normalerweise ist es umgekehrt. Ich starte mit zu großen Erwartungen an mich selbst und muss dann Stück für Stück von meinem ursprünglichen Vorhaben abrücken. Daher freute es mich ganz besonders, dass es dieses Mal umgekehrt war.
Auf der dritten Runde spürte ich jetzt aber doch meine Waden sehr deutlich, was angesichts meines „Trainingspensums“ aber völlig normal ist. In den ersten beiden Monaten dieses Jahres bin ich nämlich nur drei Mal überhaupt annähernd eine solche Distanz gelaufen und mit annähernd meine ich lediglich 20 Kilometer. Die meisten meiner Läufe bewegen sich im Distanzbereich von gerade mal 13 – 16 Kilometern.
Da ist es völlig logisch, dass die schiere Distanz irgendwann zum Problem wird. Das betrifft weniger die allgemeine Erschöpfung, als vielmehr die Beinmuskulatur. Es beschleicht einen das Gefühl, als könne bei einem falschen Schritt plötzlich alles vorbei sein. Ein kurzer Stich, ein Krampf, der Muskel macht zu und die Sache ist im wahrsten Sinne des Wortes gelaufen.
Glücklicherweise passierte das nicht. Und noch während ich mit Sorge an meine Wadenmuskulatur dachte, schoss mir ein erheiternder Gedanke durch den Kopf. „Fake it till you make it!“ Normalerweise sagt unser Gehirn unseren Muskeln, wie sie zu reagieren haben. Empfinden wir beispielsweise Freude, befiehlt unser Gehirn den Gesichtsmuskeln zu lächeln. Angeblich funktioniert das aber auch umgekehrt. Grundloses Lächeln suggeriert unserem Hirn also, dass wir fröhlich sind, woraufhin das Hirn die Ausschüttung entsprechender Glückshormone veranlasst. Super, was?
Und das funktioniert tatsächlich! Der bloße Gedanke an grundloses Grinsen, ist schon erheiternd. Ein Blick auf meine Uhr sorgte für weitere Erheiterung, denn noch immer lag meine Durchschnittspace unter 4:40 min/km. So lief ich also mit einem breiten Grinsen die letzten Kilometer ins Ziel und überquerte die Ziellinie nach 2:19:37 Stunden (Netto: 2:19:21 Stunden). Mission accomplished!
Der unangenehmste Teil stand mir aber noch bevor. Nassgeschwitzt auf dem Fahrrad durch die Kälte nach Hause zu radeln. Da musste ich noch einmal 15 Minuten auf die Zähne beißen. Genauso war es auch beim Silvesterlauf in Berlin. Und genau das ist es, was in meinen Augen die größte Überwindung kostet. Ich laufe bei jedem Wetter, das macht mir überhaupt nichts aus. Sich aber auf Hin- und Rückweg zu und von Laufveranstaltungen den Hintern abzufrieren, ist wirklich unschön.
Sei es drum, ich hoffe, dass sich die ganze Plackerei jedenfalls gelohnt hat und die Rennleitung vom Hermannslauf meine Zeit vom Lahntallauf akzeptiert.